Dr. Helga Eichelberg fragt Professor Dr. Martin Fischer

Vor kurzem wurde ich gefragt, wie lange ich meine Kinder eigentlich die Treppe noch hoch und runter tragen werde. Ich antwortete, dass ich dies bis zur Verknöcherung der Wachstumsfugen also bei Mädchen und Jungen etwas unterschiedlich bis zum 16.-19. Lebensjahr tun würde, dann sei ja schließlich das Skelett ausgereift. Vor allen Dingen das späte Ausreifen des Oberschenkels erlaube hier keine Kompromisse! Selbstverständlich habe ich auch all meine Welpen das erste Jahr die Treppe rauf und runter getragen. Zugegebenermaßen habe ich seit Jahren starke Rückenschmerzen, aber was tut der Mensch nicht alles für seine Lieben. Beim Hund habe ich in etwa 1083 Blogs zudem gelesen, dass seine Muskeln erst spät ausreifen, zwar kann ich mir unter “Muskelreifung” nichts vorstellen, aber sicher diejenigen, die es im Internet geschrieben haben.
Richards und Koautoren haben 2010 einen interessanten Aufsatz veröffentlicht, einmal mehr zeigt, wie gefährlich es ist, von sich (Mensch) auf andere (hier Hund) zu schließen. Während beim Menschen der Hauptbewegungsumfang beim Treppensteigen im Knie- und Hüftgelenk auftritt, löst der Hund dieses Problem durch eine erhöhte Bewegung (vor allem Dorsalflexion) im Sprunggelenk. Futsch alle Überlegungen zur Schonung des Hüftgelenks von Hunden beim Treppensteigen. Aber Hand aufs Herz, kennen Sie viele Hunde, bei denen durch ihrer treppensteigende Jugend später Beschwerden im Sprunggelenk auftreten oder musste dies nicht erklärt werden.[…]
Eine Bemerkung zur Muskelreifung: Bei neugeborenen Welpen sind 90-95 % der Muskelfasern noch undifferenziert. Die wenigen, schon differenzierten Fasern sind sehr große rote Fasern, die nach 4 bis 5 Wochen wieder verschwinden. […]
Eine Bemerkung zur Stoßbelastung: Beim Galopp, beim Kurvenrennen, beim Springen und in einer Vielzahl von anderen Belastungssituationen treten Kräfte auf, die ein mehrfaches des Körpergewichtes betragen können. Prieur (1980) hat bei einer mäßigen Geschwindigkeit von 7 km/h bei einem 30 kg schweren Hund bereits eine Belastung des Hüftgelenks gemessen, die das Sechsfache des Körpergewichtes betrug. Gleichzeitig wird beim Vierfachen des Körpergewichtes nur 55 % der Gelenkfläche am Oberschenkelkopf ausgenutzt (Lieser 2003). Der Körper des Hundes und seine Gelenke sind darauf eingerichtet, auch ungewöhnliche Kraftspitzen abzufangen.
Wenn ich hier die Meinungen zum Treppensteigen von jungen Hunden hinterfrage, dann ist selbstverständlich klar, dass es für den Hund nicht anderweitig gefährdende Situationen geben kann. Eine glatte, offene Treppe, auf der ein Hund – auch wenn er schon älter ist – stürzen kann ist wie jede traumatische Situation zu vermeiden.
In unserem Buch “Hunde in Bewegung” haben wir im Vorwort geschrieben: “Wenn wissen unzureichend ist, dann bilden sich Meinungen.” Leider gibt es keine einzige Studie, welche den Einfluss des Treppensteigens, bzw. Treppentragens auf die spätere Entwicklung des Bewegungsapparates des Hundes untersucht hat, wir können also den vielen Meinungen kein gesichertes Wissen entgegenhalten, aber umgekehrt, beruhen auch die Meinungen nicht auf irgendeinem haltbaren Befund. Es kann also jeder selbst entscheiden, wie er es mit dem Treppentragen seines Hundes hält, aber andere belehren darf er nicht – und es gibt auch die “fürsorglichen Belagerungen” (Heinrich Böll). Mit anderen Worten, Fürsorge ist in Ordnung, aber man kann sie auch trefflich übertreiben!